Politik
Abgehört oder online durchsucht werden - für viele Bürger eine
Horrorvorstellung.
(Foto: dapd)
Montag, 10. Oktober 2011
Wer belauscht hier wen?Merkel: Trojaner-Fall wird rasch geklärt
Angeblich geschieht es beim Zoll am Flughafen München. Dort, so berichtet ein
Anwalt aus Bayern, sei seinem Mandanten ein Spähprogramm auf den Rechner
gespielt worden. Inzwischen wird dieses Programm "Bundestrojaner" genannt. Ist
der Fall nur die Spitze des Eisbergs? Kanzlerin Merkel macht die Angelegenheit
zur Chef-Sache.
Bei der Suche nach dem Einsatz einer umstrittenen staatlichen Spionagesoftware
führt eine erste konkrete Spur nach Bayern. Einer der vom Chaos Computer Club
(CCC) dokumentierten sogenannten "Trojaner" sei auf der Festplatte eines seiner
Mandanten gefunden worden, teilte der niederbayerische Anwalt Patrick Schladt
mit. Bayerns Innenministerium prüft den Sachverhalt. Die Bundesregierung
sicherte zu, die Vorwürfe zum sogenannten "Staatstrojaner" rasch aufklären zu
wollen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
nehme die Vorwürfe des Chaos Computer Clubs (CCC) sehr ernst. Sie lasse sich
permanent darüber informieren.
Bayerischer Humor?
(Foto: dpa)
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beteuerte, es gebe keine
Hinweise, dass die zum Bundesinnenministerium gehörenden Behörden die Software
anwandten. Zu seinem Ministerium gehören der Bundesverfassungsschutz, das
Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Ob andere Bundesbehörden betroffen
waren, blieb zunächst unklar. So gehört der Zoll zum Geschäftsbereich des
Bundesfinanzministeriums.
Der Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst, sagte n-tv.de, sollten die Vorwürfe des
CCC zutreffen, sei diese "staatlich sanktionierte Computerschnüffelei" nicht
hinnehmbar. "Wir werden Herrn Friedrich dazu zwingen, dem Parlament Rechenschaft
abzulegen. Der Vorwurf ist ernst. Auch personelle Konsequenzen sind kein Tabu."
Die Piraten-Partei reichte eine Bundestagspetition ein. Das Parlament möge
klären, was es mit dem Trojaner auf sich habe. Sollten die Berichte stimmen,
müssten die Durchsuchungen umgehend beendet werden, hieß es.
Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, sagte, der CCC
müsse sagen, um welche Software es sich handele und welche Behörde in welchem
Verfahren und zu welchem Zweck tätig geworden sei. Die Vorwürfe seien erheblich
und gravierend, sollten sie zutreffen, sei das "streng verboten", so Bosbach bei
n-tv. Die Behörden wären dann kriminell vorgegangen.
"Beim Zoll aufgespielt"
Der Landshuter Anwalt Schladt schrieb zu dem Fall in Bayern: "Aufgespielt wurde
der Trojaner bei Gelegenheit einer Kontrolle meines Mandanten durch den Zoll auf
dem Münchener Flughafen." Auch wenn die Maßnahme von bayerischen Behörden
kontrolliert worden sei, stehe für ihn außer Frage, dass Stellen des Bundes -
etwa der Zoll - beteiligt gewesen seien, heißt es in einer Mitteilung.
Bereits im Frühjahr war bekanntgeworden, dass bayerische Ermittler mit der
Software nicht nur Telefongespräche überwacht, sondern auch alle 30 Sekunden
Bildschirmfotos (Screenshots) vom Rechner eines Verdächtigen aufgenommen hatten,
sobald dieser den Internet-Browser oder die Software zur Internet-Telefonie
benutzte.
Büro des CCC: Die Computer-Experten brachten den Fall ins Rollen.
(Foto: dapd)
Das Landgericht Landshut hatte die Aufnahme der Bildschirmfotos Anfang des
Jahres für rechtswidrig erklärt und dem Landeskriminalamt weitere
Bildschirmaufnahmen verboten. Der Fall war aber nach Angaben der bayerischen
Grünen nicht der einzige: "Das Landeskriminalamt in Bayern hat nachweislich in
mindestens fünf Fällen Computer mit Trojanern ausgeforscht und dabei auch
Screenshots angefertigt", sagte Susanna Tausendfreund, die innenpolitische
Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag. "Der Verdacht drängt sich auf,
dass der sogenannte Bundestrojaner in Wirklichkeit ein Bayern-Trojaner ist."
Der CCC hatte am Wochenende erklärt, dass ihm eine "staatliche Spionagesoftware"
zugespielt worden sei, mit der Ermittler in Deutschland Telekommunikation im
Internet überwachten. Bei dieser Quellen-TKÜ geht es darum, Internet-Telefonate
abzuhören, bevor sie verschlüsselt werden. Das ist legal.
Nach Angaben des CCC kann die Software aber deutlich mehr: "Die untersuchten
Trojaner können nicht nur höchst intime Daten ausleiten, sondern bieten auch
eine Fernsteuerungsfunktion zum Nachladen und Ausführen beliebiger weiterer
Schadsoftware", teilte der Verein mit. Zudem entstünden mit der Software
"eklatante Sicherheitslücken" auf den Rechnern. So wird kritisiert, dass quasi
durch die Hintertür eine Online-Durchsuchung möglich ist. Für diese Maßnahme hat
das Bundesverfassungsgericht aber Ende Februar 2008 hohe Hürden gesetzt.
Befragung läuft
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kündigte an, die
Überwachungssoftware zu überprüfen. "Es darf nicht sein, dass beim Abfangen
verschlüsselter Internet-Kommunikation auf dem Computer durch die Hintertür auch
eine Online-Durchsuchung des gesamten Rechners durchgeführt werden kann."
Das Bundeskriminalamt frage derzeit bei den Ländern ab, ob sie die besagte
Software einsetzten, so das Innenministerium. CCC-Sprecher Frank Rieger sagte,
der nun enttarnte Trojaner sei von mehreren Landeskriminalämtern eingesetzt
worden.