Deutsche Firmen und Politik geben Gas beim Quantencomputing
Deutsche Firmen und Politik geben Gas beim
Quantencomputing
Regierung fördert Entwicklung mit zwei Milliarden
– Volkswagen forscht zu Verkehrsführung und Materialforschung
Die Welt forscht am Quantencomputer.
Foto: IBMGoogle hat sie aufgescheucht. Im vergangenen Jahr
stellte der US-Technologiekonzern seinen Quantencomputer vor und sprach von
einer Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Rechnern – zumindest bei
speziellen Aufgabenstellungen. Seither haben Firmen wie auch Staaten
weltweit ihre Bemühungen verstärkt, den Rechnern, die auf den Gesetzen der
Quantenmechanik basieren, zum Durchbruch zu verhelfen. Bisher haben vor
allem IBM, Google und Rigetti aus den USA sowie der kanadische Anbieter
D-Wave vorzeig- und nutzbare Hardware im Angebot.
Nun will Deutschland nachziehen. "Wir haben uns
vorgenommen, dass wir im nächsten Jahr einen ersten Rechner stehen haben",
kündigte Forschungsministerin Anja Karliczek im Reuters-Interview an. Um in
der Weltspitze konkurrenzfähig zu sein, stellt die Koalition zwei Milliarden
Euro bereit – und will noch im Sommer den Auftrag für den Bau von zwei
Quantencomputern vergeben. Deutschland und die EU bräuchten mehr
technologische Souveränität, so Karliczek.
Explosionsartige Entwicklung
"Die Quantentechnologie entwickelt sich in Europa
und der ganzen Welt explosionsartig. Es wird ein Wettrennen sein, in dem wir
uns die Rosinen herauspicken müssen", sagt Oliver Ambacher, Leiter des
Fraunhofer-Instituts für Angewandte Festkörperphysik, wo er sich mit der
Entwicklung von Quantensensoren und elektronischen Komponenten für
Quantencomputer beschäftigt. In Deutschland waren es lange nur
Wissenschaftler, die sich mit dem Quantencomputing beschäftigten. Jetzt, wo
sich immer mehr Anwendungsfälle abzeichnen, schalten sich mehr und mehr
Unternehmen ein, vom Startup bis zum Großkonzern.
Bei Europas größtem Autobauer Volkswagen
beschäftigen sich 20 Spezialisten – darunter Quantenphysiker und
Mathematiker – in San Francisco und München mit dem Thema. "Wir sehen
signifikante Projektfortschritte bei Anwendungen in der Materialforschung,
künstlichen Intelligenz, Optimierung und IT-Sicherheit. Erst im Herbst 2019
haben wir in Lissabon die weltweit erste quantenoptimierte Verkehrsführung
in einen erfolgreichen Praxistest überführt", sagte ein Firmensprecher. Es
gehe darum, einen Wettbewerbsvorsprung zu haben, wenn die Technologie
Marktreife erlange.
Quantencomputer können im Gegensatz zu
herkömmlichen Rechnern parallel Daten verarbeiten und damit viele
Eingangsgrößen aufnehmen wie auch ausgeben. Der Chemiekonzern BASF traut dem
Quantencomputing deswegen zu, ein "Game Changer" zu werden, beispielsweise
bei Simulationen von Molekülstrukturen, der Beobachtung von
Reaktionsabläufen sowie der Vorhersage von Materialeigenschaften.
Doch noch muss viel geforscht werden, bis es
soweit ist. "Wir müssen die Quantencomputer noch verbessern, um die Fragen
der Nutzer beantworten zu können. So würde die Bundesbahn gern ihren
gesamten Fahrplan anpassen, wenn sich ein Zug verspätet. Diese komplexen
Aufgaben können die heutigen Systeme noch nicht lösen, jedenfalls nicht,
ohne Fehler zu machen", sagt Ambacher. Deswegen rechnen Experten auch erst
in mehreren Jahren damit, dass Industrien im Arbeitsalltag auf
Quantencomputer zurückgreifen.
IBM bringt Quantenleistung über Cloud nach
Deutschland
Bisher läuft die Forschung der
Fraunhofer-Gesellschaft komplett über IBM-Rechner, die sich allesamt in den
USA befinden. "Wir sind das einzige Unternehmen der Welt, das Quantensysteme
über das Internet als Service anbietet", sagt Dirk Wittkopp, Geschäftsführer
der Forschungsabteilung von IBM Deutschland. Ambacher würde allerdings gern
weniger abhängig von der anderen Seite des Atlantiks sein: "Wir müssen eine
eigene Technologie entwickeln, um unsere Daten souverän zu nutzen.
Bestehende Technologien können wir nicht einfach kopieren, weil sie bereits
patentiert sind." Ein Fahrplan, wie Deutschland zu einem eigenen
Quantencomputer komme, solle in drei bis sechs Monaten fertig sein.
Inzwischen tummeln sich auch Startups wie IQM aus
Finnland oder Terra Quantum aus der Schweiz auf dem jungen Markt. "Bisher
gibt es keine Fertiglösungen", sagt Henrikki Mäkynen von IQM. Ziel sei es,
eigene Computer anzubieten, denn herkömmliche Rechner könnten die Probleme
unserer Zeit nicht mehr lösen. IBM hat da noch mal ganz andere Ambitionen:
"Wir wollen der Konzern sein, der Quantencomputer groß macht." Derzeit
bereite man sich darauf vor, eine größere Anzahl Quantencomputer in
standardisierter Ausführung über die Cloud anzubieten. Inzwischen passten
diese auch in Schränke und seien keine Physiklabore mehr.
Gleichwohl bringt die leistungsfähige
Quantentechnologie auch neue Sicherheitsrisiken: Das Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) arbeitet an
Quantencomputer-resistenten Alternativen zu den heute verwendeten
Public-Key-Verfahren. "Es besteht die Gefahr, dass verschlüsselte
Informationen auf Vorrat gesammelt und später mit Hilfe eines
Quantencomputers entschlüsselt werden können", sagte BSI-Präsident Arne
Schönbohm zu Reuters. (Reuters, 3.7.2020)
https://www.derstandard.at/story/2000118496665/deutsche-firmen-und-politik-geben-gas-beim-quantencomputing