D21-Studie: Digitaler Stillstand in Deutschland
Von Stephan Dörner
Mittwoch, 5. November 2014, 16:26 Uhr
BERLIN—Die Bundesregierung hat das Thema Digitales zum
Schwerpunktthema dieser Legislaturperiode erklärt – doch in der Bevölkerung
herrscht digitaler Stillstand. Ob Breitbandnutzung, Datenbewusstsein,
strukturelle Benachteiligung oder Digitalkompetenz – beim Thema Digitalisierung
geht bei den Deutschen inzwischen unterm Strich nichts mehr voran. Das ist das
Fazit der aktuellen Studie Initiative D21, die auf einer repräsentativen
Befragung von TNS Infratest basiert. Demnach sind etwas weniger als 60 Prozent
der Deutschen sind mit dem Breitband-Internet verbunden – ebenso viele wie 2013.
Seit 2001 wird die Studie jährlich durchgeführt – bis
vor kurzem unter dem Namen „(N)onliner-Atlas“. Die aktuelle Fassung wurde von
TNS-Geschäftsführer Robert Wieland am Dienstag im Beisein von Brigitte Zypries,
Staatsministerin im Bundeswirtschaftsministerium, vorgestellt.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Negativtendenz
der vergangenen Jahre verstärkt hat: War die Nutzung des Internets in
Deutschland 2012 und 2013 um bescheidene 0,9 Prozent gewachsen, so gab es 2014
nur noch einen minimalen Zuwachs von 0,3 Prozent. Der minimale Zuwachs geht laut
den Autoren der Studie nur noch auf die Demografie zurück, da die Zahl älterer
Menschen, die das Internet kaum oder gar nicht nutzen, zurückgeht. Mit anderen
Worten: Beim Wachstum der Internet-Nutzung herrscht Stillstand.
Daten sollen das Land nicht verlassen
Noch gravierender sind die Studienergebnisse bei der
digitalen Kompetenz, die sich aus der Abfrage von Begriffen und einer
Selbsteinschätzung der Befragten ergibt. Diese nahm im Vergleich zur vergangenen
Studie auf 2,5 Indexpunkte ab. Nur 37 Prozent der Bevölkerung seien bei der
Internetnutzung digital souverän, heißt es.
Den Rückgang bei der Digitalkompetenz erklärt
TNS-Geschäftsführer Wieland unter anderem mit einer verstärkten Unsicherheit im
Zuge des NSA-Skandals. Im Verhalten der Internetnutzer spiegelt sich der Skandal
über die umfassende Überwachung des Internets durch amerikanische und britische
Geheimdienste allerdings nicht wider – die Verwendung von Cloud-Diensten, bei
denen Nutzer ihre Daten auf fremden Servern speichern, ist beispielsweise
gestiegen. „Wunsch widerspricht Wirklichkeit“, fasste Wieland dieses Ergebnis
zusammen. Viele Deutschen wünschten sich, dass es im Internet anders laufe,
änderten jedoch nicht ihr Verhalten.
Dafür unterstützen sie Änderungen an der
Infrastruktur. Die Initiative der Deutschen Telekom, ein „Schengen-Netz“
aufzubauen, bei denen Daten das eigene Land oder zumindest den Schengen-Raum
möglichst nichts verlassen, stößt auf Zustimmung der Deutschen. 57 Prozent
äußerten den Wunsch, dass Europas Daten nicht in andere Länder transportiert
werden sollten. 30 Prozent stimmten dem nicht zu.
Vernichtendes Fazit
Die repräsentative Befragung, auf der die Studie
beruht, wurde via Festnetz- und Mobiltelefon durchgeführt, nicht im Internet.
Der Anteil passionierter Onliner liegt demnach nur bei 13 Prozent. Größte
Online-Nutzergruppe in Deutschland sind gelegentliche häusliche Nutzer – die
zweitgrößte sind Online-Skeptiker, die das Internet nicht nutzen, wenn es sich
vermeiden lässt. Und immer noch 20 Prozent der Deutschen nutzen das Internet
sogar überhaupt nicht.
Aus sämtlichen erfassten Daten berechnet die
Initiative D21 einen Digital-Index – und der hat sich von 2013 auf 2014 so gut
wie nicht verändert: Er liegt mit 51,3 Punkten nur 0,1 Prozentpunkte höher als
im Vorjahr.
Das Fazit des TNS-Chefs ist vernichtend: „Es hat sich
nichts getan, die Kompetenz hat sich verschlechtert, die Internet- und
Breitband-Nutzung stagniert.“ Wieland sieht einen „digitalen Graben“, der vor
allem zwischen Alten und Jungen sowie Männer und Frauen klaffe. Zumindest bei
den Jungen ist die Differenz zwischen den Geschlechtern aber schon geschlossen.
Positiv vermerkte Wieland, dass zumindest der
Arbeitsmarkt zunehmend von den digital Kompetenten dominiert wird. Die
Onlinekompetenz der Berufstätigen liegt höher als die der Gesamtbevölkerung –
bei Nachwuchskräften liegt sie noch höher. Diesen Trend will die Regierung
verstärken: Staatsministerin Zypries kündigte an, die Internetkompetenz von
kleineren und mittleren Unternehmen stärken zu wollen.
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