Algorithmus aus der Ingenieurmathematik, ermöglicht langwierige Kalibrierung und
Nachjustierung per Kopfdruck
Saarbrücken - Um einen experimentellen Quantencomputer stabil betreiben zu
können, müssen die empfindlichen technischen Laboranordnungen langwierig
eingestellt werden. Bislang dauerte dieser Vorgang bis zu sechs Stunden. Darüber
hinaus musste die Einstellungen regelmäßig nachjustiert werden. Nun haben
Physiker der Saar-Uni eine Methode entwickelt, mit der ein Quantencomputer in
nur fünf Minuten eingestellt und stabil ist. Damit können Forscher künftig
schneller und länger experimentieren.
Moderne Heimcomputer sind - im Idealfall - im Nu hochgefahren und
betriebsbereit. Bei einem Quantencomputer sieht das noch etwas anders aus. Um
einen Chip mit fünf Quantenbits, dem quantenphysikalischen Äquivalent der Bits
in normalen Rechnern, so einzustellen, dass man damit arbeiten und
experimentieren kann, musste bisher ein Wissenschafter stundenlang Dutzende
Einstellungen aufs Feinste kalibrieren. Lag er nur wenig daneben, lief der Chip
nicht.
Das Problem bei den Experimenten ist, dass Quantencomputer ähnlich wie ein
Musikinstrument auf kleinste Unterschiede in der Umgebung reagieren. Ist es
beispielsweise nur ein wenig wärmer oder kälter, ist der Luftdruck höher oder
niedriger als am Vortag, funktioniert das komplexe Geflecht der Quantenbits
nicht mehr, der Quantencomputer ist sozusagen "verstimmt" und muss neu
eingestellt werden. "Bisher haben sich Quantenphysiker also jeden Tag aufs Neue
hingesetzt und geschaut, was anders ist als am Vortag. Sie haben jeden Parameter
gemessen und den Chip immer wieder mühsam neu kalibriert", erklärt Frank
Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität
des Saarlandes.
Hochempfindliches System
Die Fehlerquote beim Messen der Umgebungsbedingungen darf nur sehr gering sein,
etwa im Bereich unter 0,1 Prozent. "Das bedeutet, dass nur bei einer von 1.000
Messungen ein Fehler passieren darf. Sind nur zwei von 1.000 Messungen
fehlerhaft, kann die Software das nicht mehr korrigieren und der Quantencomputer
läuft fehlerhaft", erklärt Wilhelm-Mauch die Empfindlichkeit. Bedenkt man, dass
rund 50 verschiedene Parameter in die Kalibrierung mit einfließen, erhält man
eine Vorstellung von dem Aufwand, mit dem sie betrieben werden muss.
Nun hat Wilhelm-Mauch gemeinsam mit seinem Doktoranden Daniel Egger für die
Kalibrierung einen Algorithmus aus der Ingenieurmathematik, genauer gesagt, aus
dem Bauingenieurwesen, verwendet und bei ihren Quantencomputer eingesetzt. Denn
auch dort sind Versuche teuer.
US-Forscher bestätigen Methode
Mithilfe dieses Kniffs gelang es den Theoretikern, die Fehlerquote beim
Kalibrieren auf unter die benötigten 0,1 Prozent zu drücken und gleichzeitig die
Geschwindigkeit des Einstellverfahrens von sechs Stunden auf fünf Minuten zu
reduzieren. Das haben Experimentalphysiker der University of California in Santa
Barbara gezeigt, die die Saarbrücker Methode, welche von den Physikern auf den
Namen "Ad-HOC” (Adaptive Hybride Optimale Kontrolle) getauft wurde, erstmals auf
Herz und Nieren testeten. Das Experiment ist in derselben Ausgabe der Physical
Review Letters veröffentlicht wie der Saarbrücker Aufsatz.
Für weitere Experimente bei der Erforschung von Quantencomputern ist dieser
Fortschritt ungemein wichtig. Nun müssen in den Laboren der Physiker nicht mehr
jeden Tag stundenlange Vorarbeiten gemacht werden, um eine kurze Zeit lang zu
experimentieren. "Denn während der langen Kalibrierungsphase haben sich viele
Parameter wie Temperatur, Licht und Luftdruck ja bereits wieder leicht
verändert, so dass die Zeitspanne, in der der Chip fehlerfrei läuft und man
damit experimentieren kann, immer kürzer wird", sagt Wilhelm-Mauch, der
hinzufügt, dass seine Überlegungen skalierbar seien. Sind bisher also aus rein
technischen Gründen Experimente mit einem Chip möglich, auf dem fünf Quantenbits
die Rechenoperationen durchführen, sind in Zukunft der Größe des Chips mit
dieser Methode kaum Grenzen gesetzt, er ist beliebig vergrößerbar.
Kalibrierung auf Knopfdruck
Zudem gibt es einen Clou an der Methode, auf den Frank
Wilhelm-Mauch hinweist: "Unsere Methode ist im Gegensatz zu der bisherigen
händischen Kalibrierung vollautomatisch.
Der Wissenschafter drückt also
tatsächlich nur einen Knopf wie bei einem
herkömmlichen Computer und geht Kaffee holen, bis der Quantencomputer
einsatzbereit ist." Im Alltag ein nicht zu vernachlässigender Gewinn. (red,
derStandard.at, 23.06.2014)
Abstract
Physical Review Letters: Adaptive Hybrid Optimal Quantum Control for Imprecisely
Characterized Systems
http://derstandard.at/2000002237914/Quantencomputer-lassen-sich-mit-neuer-Methode-in-wenigen-Minuten-hochfahren