Panne mit Kraft-Aktien:Nasdaq-Systeme spielen verrückt
© Bild: 2012 Reuters/BRENDAN MCDERMID
Die Nasdaq hat sich erneut eine heftige Handelspanne geleistet: Die
Aktie des Lebensmittelkonzerns Kraft schoss zum Start binnen Sekunden
nach oben. Der Vorfall verstärkt Ängste vor einem Hochfrequenzhandel,
der außer Kontrolle gerät. von Tim Bartz
Neue, peinliche Panne an der Nasdaq : Aufgrund eines Computerfehlers
sind die Aktien des Konsumgüterherstellers Kraft am Mittwoch sofort nach
Eröffnung des Handels an der New Yorker Technologiebörse binnen 60
Sekunden um nahezu 30 Prozent auf 58,54 Dollar nach oben geschossen - im
Beisein von Ex-Kraft-Chefin Irene Rosenfeld, die die Eröffnungsglocke
geläutet hatte. Schuld war vermutlich der fehlerhafte Algorithmus eines
Hochfrequenzhändlers, der erst nach einer Stunde aufgedeckt und behoben
werden konnte. Zum Handelsschluss notierte die Kraft-Aktie um 1,2
Prozent schwächer mit 44,87 Dollar.
Hochfrequenzhändler handeln mit Hilfe von Algorithmen, die innerhalb von
Millisekunden Handelsaufträge ausführen. Kritiker und
Regulierungsbehörden vermuten, dass einige Händler ihre Schnelligkeit
zum Nachteil anderer ausnutzen, etwa indem sie Handelsangebote
einstellen und vor der Ausführung wieder zurückziehen, um damit den
Markt in eine für sie günstige Richtung zu lenken. Laut der Deutschen
Börse sind rund 40 Prozent der Umsätze auf der elektronischen
Handelsplattform Xetra auf Hochfrequenzhändler zurückzuführen.
"Die Marktteilnehmer sind verpflichtet, ihre Handelsaktivitäten auf
mögliche fehlerhafte Kauf- und Verkaufsaufträge zu überprüfen und falls
nötig innerhalb der von uns vorgegebenen Zeit abstellen", teilte die
Nasdaq mit. Die Ansage der Börse klingt in gewisser Weise hilflos -und
sie ist das Eingeständnis, dass die Systeme insbesondere der
umstrittenen Hochfrequenzhändler weiterhin unsicher sind.
Der Kraft-Fall erinnert an zwei Pannen in der jüngeren Vergangenheit,
die den Hochfrequenzhandel ins Zwielicht gerückt haben. Im Sommer konnte
der US-Börsenmakler Knight Capital nur um Haaresbreite die Insolvenz
vermeiden, nachdem seine Systeme massenhaft fehlerhafte Kaufaufträge
über 7 Mrd. Dollar in den Markt geschickt und ausgeführt hatten. Auf den
Verlusten daraus - 440 Mio. Dollar in nur 45 Minuten - blieb das
Unternehmen sitzen. Das Drama spielte sich im Handel an der
Nasdaq-Erzrivalin NYSE Euronext ab, wo Knight Capital mit einem
Marktanteil von gut 17 Prozent zu den größten Händlern von US-Aktien
zählte. Das Unternehmen stellt An- und Verkaufskurse für Aktien und
verdient an der Kursdifferenz. Das Unternehmen überlebte nur dank der
Finanzspritze einer Investorengruppe und musste den Handel mit mehr als
500 Wertpapieren zeitweise an den Wettbewerber Getco übertragen.
Auch beim Facebook-Börsengang blamierte sich die Nasdaq
Beim Börsengang des sozialen Netzwerkes Facebook im Mai war es bei der
Nasdaq zu technischen Problemen gekommen. Händler wussten zum Teil
stundenlang nicht, ob ihre Aufträge ausgeführt wurden. Oft wurden die
Kauf- und Verkaufsaufträge mehrfach ausgeführt, sodass mehr
Facebook-Aktien auf der Bilanz der Händler landeten, als ihre Kunden
bestellt hatten. Der anschließende Kurseinbruch des Facebook-Papiers
schlug entsprechend als Verlust zu Buche. Die Nasdaq hat geschädigten
Marktteilnehmern zur Kompensation ihrer Verluste 62 Mio. Dollar (50 Mio.
Euro) zugesagt.
Im Mai 2010 wiederum war der US-Aktienindex Dow Jones binnen Minuten um
1000 Punkte abgesackt und anschließend wieder gestiegen. Die Gründe
dafür liegen nach wie vor im Dunkeln, als gesichert gilt allerdings,
dass "Blitzhändler" den Effekt eines fehlgeleiteten Wertpapierauftrags
seinerzeit verstärkt hatten.
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Inzwischen hat sich die Politik der Hochfrequenzhändler angenommen. Auf
europäischer Ebene und in den USA wird an verschärfter Regulierung
gearbeitet, in Deutschland hat das Bundeskabinett Ende September seinen
Gesetzentwurf zur Regulierung des Hochfrequenzhandels abgesegnet. Im
Herbst soll es durch den Bundestag gehen, im Frühjahr durch den
Bundesrat und Mitte 2013 in Kraft treten.
Deutschland wäre dann weltweit das erste Land, das Hochfrequenzhandel
gesetzlich reguliert. Das Gesetz sieht unter anderem eine
Zulassungspflicht für Hochfrequenzhändler vor und stuft bestimmte
Handelsstrategien als Marktmissbrauch ein. Was die Panne für die Nasdaq
besonders schmerzlich macht, ist, dass sich Kraft erst im Juni dazu
entschlossen hatte, von der NYSE zur Nasdaq zu wechseln. Dort werden
jetzt auch die Aktien des vom Konzern abgespaltenen
US-Lebensmittelgeschäfts Mondelez gehandelt. Kraft versicherte aber in
einer Mitteilung, der Nasdaq vorerst treu zu bleiben.