Neue Quantentechnik bietet weitreichende
Anwendungen
Quantentechnologien sind schon jetzt kaum aus unserem Alltag
wegzudenken. Eine neue Generation von
Quantentechnik steht vor dem
Durchbruch
Oktober bei einer Präsentation
in New York vom Quantencomputer von IBM fasziniert.
Neue Quantentechnik bietet weitreichende
Anwendungen
Quantentechnologien sind schon jetzt kaum aus unserem Alltag
wegzudenken. Eine neue Generation von Quantentechnik steht vor dem
Durchbruch
US-Präsident Joe Biden zeigte sich Anfang Oktober bei einer Präsentation
in New York vom Quantencomputer von IBM fasziniert.
Die Geschichte der Physik seit 1900 kann als die Geschichte eines
erbitterten Streits verstanden werden. Die Auseinandersetzung
erschütterte die Grundlagen unseres Verständnisses von Wirklichkeit,
Raum und Zeit und reißt bis heute tiefe Gräben auf. Wer sich in diesem
Streit gegenübersteht, ist auf der einen Seite niemand Geringerer als
Albert Einstein. Der Name seines Kontrahenten mag überraschen: Albert
Einstein.
Die Physiknobelpreisträger dieses Jahres, zu denen auch der Österreicher
Anton Zeilinger zählt, erhalten die prestigereiche Auszeichnung
letztlich auch für ihren experimentellen Nachweis, dass Einstein unrecht
hatte – und zugleich auch recht behalten sollte. Konkreter Ausgangspunkt
ist eine Arbeit, die Einstein 1935 formulierte, in der er behauptete,
dass die Quantenmechanik keine zufriedenstellende physikalische Theorie
sei.
Eine neue Generation von Quantentechnologien bietet vielfache
Anwendungsmöglichkeiten und ist zum Teil bereits einsatzbereit.
Einstein vs. Einstein
Wie die Physiknobelpreisträger John Clauser, Alain Aspect und Zeilinger
in den vergangenen Jahrzehnten zeigen konnten, lag Einstein mit dieser
Aussage daneben. Als richtig hat sich hingegen die quantenmechanische
Beschreibung erwiesen, die Einstein selbst 1905 auf den Weg gebracht
hatte.
Im Zentrum der Diskussion um die Bedeutung der Quantenphysik stehen
Fragen zur physikalischen Realität, zum Verständnis von Raum und Zeit.
Viele dieser Fragen sind bis heute nicht geklärt. Doch
interessanterweise ist das gar nicht erforderlich, um die Quantenphysik
bereits jetzt für eine Vielzahl an Anwendungen einzusetzen.
Jede Besitzerin eines Smartphones nutzt Erkenntnisse der Quantenphysik
auf täglicher Basis in Form von Halbleitern, die sich in Mikroelektronik
finden. Wann immer wir uns einer Magnetresonanztomografie unterziehen,
kommt der quantenmechanische Effekt des Kernspins zur Anwendung. Laser
begegnen uns an der Supermarktkasse oder bei Laserdruckern.
Laser sind eine frühe Anwendung von Erkenntnissen der Quantenphysik –
und kommen bis heute in Supermarktkassen und bei Konzertshows zum
Einsatz.
Alltägliche Anwendungen
Kurzum, es gibt kaum einen anderen Wissenschaftszweig, den wir so
selbstverständlich tagtäglich verwenden wie die Quantenphysik. Und das,
obwohl die wenigsten von uns behaupten würden, die Quantenphysik bis ins
letzte Detail zu verstehen. Am allerwenigsten behaupten das übrigens
Quantenphysiker und Quantenphysikerinnen.
Dreh- und Angelpunkt der revolutionären Erkenntnisse von Clauser, Aspect
und Zeilinger ist das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung.
Zwischen verschränkten Teilchen besteht eine rätselhafte Verbindung, die
sich nicht mit klassischer Physik beschreiben lässt.
Einstein war der erste, der über die Verschränkung nachgedacht hat.
Gleichzeitig war er ihr größter Gegner. Doch wie sich zeigte, existiert
das Phänomen, das Einstein als "spukhafte Fernwirkung" diskreditierte,
tatsächlich, wie die Experimente von Clauser, Aspect und Zeilinger
zeigten. Und nicht nur das: Die Verschränkung hat auch praktische
Anwendungsmöglichkeiten.
Im August präsentierte der chinesische IT-Konzern seinen Quantencomputer
in Peking.
Speerspitze Quantencomputer
So hat sich in den vergangenen Jahren ein Milliardenmarkt um eine neue
Generation von Quantentechnologien entwickelt. Für das Jahr 2021 wurde
das Marktvolumen dafür mit zehn Milliarden Euro beziffert, für 2028 wird
ein Volumen von 44 Milliarden prognostiziert.
Die größte Aufmerksamkeit kommt dabei Quantencomputern zu. Wie zuvor
erwähnt, steckt auch in herkömmlichen Computern Quantenphysik, nämlich
vor allem das Wissen um das Verhalten von einzelnen Elektronen.
Quantencomputer hingegen nutzen ausgefinkelte Phänomene wie die
Verschränkung oder die Überlagerung von Zuständen.
Verschlüsselung knacken
Spezielle Quantenalgorithmen ermöglichen so, bestimmte Probleme viel
schneller zu lösen als klassische Computer. Dazu zählt etwa die
Zerlegung in Primzahlen – eine Auf-gabe, die beim Knacken von
verschlüsselten Daten nützlich ist. Wenn einmal ein leistungsstarker
Quantencomputer verfügbar ist, könnte dieser klassischen
Verschlüsselungsmethoden im Nu entziffern. Es gibt nur eine Möglichkeit,
das zu verhindern – die Quantenverschlüsselung. Basierend auf
Quantenphänomenen lassen sich nämlich auch Verschlüsselungsverfahren
entwickeln, die nach unserer jetzigen Kenntnis der Naturgesetze nicht
geknackt werden können.
Produkte der Quantenkryptografie sind bereits kommerziell erhältlich. Da
es realistisch ist, dass leistungsstarke Quantencomputer in etlichen
Jahren oder Jahrzehnten verfügbar sind, ist die Zielsetzung, sensible
Daten bereits zuvor mittels Quantenverschlüsselung zu sichern.
Honeywell Quantum Solutions bietet kommerzielle
Quantenkryptografie-Produkte an.
Foto: Reuters/Quantinuum/Josh Wood Photo
Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten
Die neue Generation von Quantentechnologien hat zahlreiche sowohl
gesellschaftliche als auch wirtschaftliche, medizinische und
militärische Anwendungsmöglichkeiten: Quantensensoren könnten Krebs
erkennen, lange bevor Symptome auftreten. Quantensimulatoren ermöglichen
es, neue Wirkstoffe zu finden. Quantenalgorithmen würden die raschesten
Logistikrouten effizient ermitteln. Quantenradar würde die Überwachung
des Luftraums verbessern und dadurch militärische Vorteile bieten.
Man kann sich gut vorstellen, dass der glühende Pazifist Albert Einstein
all das vehement abgelehnt hätte. Ebenso gut ist denkbar, dass Einstein,
der stets das Neue und Unkonventionelle schätzte, von diesen neuen
Quantentechnologien äußerst begeistert gewesen wäre. (Tanja Traxler,
16.10.2022)
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