Pere Aragonès soll mit der Software
Pegasus ausspioniert worden sein. Er beschuldigt die spanische Regierung
und fordert harte Konsequenzen.
Kataloniens Präsident will in Madrid "Köpfe"
rollen sehen
Mit seinem Handy gehe es ihm wie den meisten
anderen Menschen auch, sagt Kataloniens Regionalpräsident Pere Aragonès:
"Früher habe ich mehrere Geräte parallel benutzt, eines dienstlich,
eines privat, aber irgendwann war das einfach nicht mehr praktikabel."
Inzwischen benutze er nur ein Gerät, auf dem alles läuft: seine
Banking-App, die Familienfotos und die berufliche Kommunikation. Und auf
eben dieses Mobiltelefon hatte es offenbar jemand abgesehen. Drei
Angriffe mit der Spionagesoftware Pegasus konnte das Forschungsinstitut
Citizen Lab auf dem Handy des katalanischen Regierungschefs
identifizieren. Mindestens einer davon soll erfolgreich gewesen sein.
"Ich habe offenbar auf einen Link geklickt in
einer Mail, die aussah wie der Newsletter einer Zeitung. Die Schlagzeile
hatte mich interessiert - und schon waren sie auf meinem Handy",
berichtet Aragonès im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Wer "sie"
sind? So genau weiß man das nicht. Theoretisch käme jeder Staat in
Frage. Der Pegasus-Hersteller NSO Group gibt an, die Software lediglich
an Regierungen und staatliche Organe wie Militär und Geheimdienste
verkauft zu haben.
Aus Sicht des Linksrepublikaners und
Vertreters der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung Aragonès legt der
Bericht, den das Citizen Lab aus Toronto diese Woche veröffentlicht hat
und demzufolge er das hochrangigste von mindestens 65 Spionageopfern
ist, aber nur einen Schluss nahe: "Kein Staat außer Spanien hätte
Interesse daran, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung auszuspähen."
Die Vorwürfe sind brisant. Wenn stimmt, was
der Chef der katalanischen Regionalregierung behauptet, hätte Spanien
die umstrittene Pegasus-Software in einem Maße gegen inländische
gewählte Amtsinhaber eingesetzt wie es in europäischen Demokratien
bislang beispiellos wäre. Mindestens kurios wäre zudem der Zeitraum der
Angriffe: Diese ereigneten sich zwischen 2017 und 2020, teils also
Monate und Jahre nach der heißen Phase des katalanischen
Unabhängigkeitskonflikts im Herbst 2017.
Steckt der spanische Geheimdienst CNI hinter
der Spionage?
Aragonès hält Mitglieder des spanischen
Geheimdienstes CNI für verantwortlich. Die Frage sei für ihn nur, ob der
CNI mit Wissen und Zustimmung der Regierung und auf Basis einer
juristischen Grundlage gehandelt habe oder an Regierung und Justiz
vorbei. So oder so müsse der Fall politische Konsequenzen haben.
Aragonès, 39 Jahre alt und seit September
2020 Regierungschef in der autonomen Region Katalonien im Nordosten
Spaniens, gilt als gemäßigter Separatist. Er steht für einen Dialog mit
Madrid und einen neuen Umgangston. Aus dem Schatten seiner deutlich
aggressiveren Vorgänger Quim Torra und Carles Puigdemont hat er sich
gelöst. Nun steht er gemeinsam mit ihnen im Bericht des Citizen Lab auf
der Liste der "Zielpersonen".
Auch in seiner Privatsphäre fühlt sich
Aragonès verletzt. "Mein Privatleben war fremden Augen ausgeliefert",
sagt er. Pegasus gewährt nicht nur Zugang zu gespeicherten Daten, es
ermöglicht Angreifern zudem, Mikrofon und Kamera zu aktivieren und das
Handy so zur Wanze zu machen. Seit Aragonès von den Spähangriffen weiß,
fühlt er sich als gewählter Repräsentant des spanischen Staates von der
Regierung im Stich gelassen. Madrid bleibe tatenlos angesichts eines
Skandals, der in dieser Woche auch den Pegasus-Untersuchungsausschuss
des Europäischen Parlaments beschäftigt hat.
"Wir fordern Aufklärung", sagte Aragonès in
Madrid, wo er auch Parlamentsmitglieder traf. Ein Gespräch mit
Verteidigungsministerin Margarita Robles, die dem Geheimdienst CNI
vorsteht, habe bisher nicht stattgefunden. Aragonès erwartet nun, dass
es zu einem Austausch mit Premier Pedro Sánchez kommt - andernfalls
könne er die Stabilität der Regierung in Madrid nicht garantieren.
Spaniens linke Minderheitsregierung ist auf die Unterstützung der
katalanischen Linksrepublikaner angewiesen. Sánchez allerdings schweigt
bislang und gefährdet damit nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner
Zusicherung, an einer Aussöhnung mit dem katalanischen Separatismus
interessiert zu sein. Er gefährdet auch seine Regierung.
Aragonès will beides: Sanktionen und den
Dialog
Aber auch Aragonès hat einiges zu verlieren,
sollte die spanische Regierung seine Forderung nach Aufklärung
ignorieren: Anders als seine Vorgänger setzt der katalanische Präsident
auf Dialog. "Wir wissen, dass wir ein unabhängiges Katalonien nur auf
Basis eines international anerkannten Referendums erreichen und wir
wissen auch, dass wir dafür eine Einigung mit Madrid erzielen müssen",
sagt Aragonès. Über die Erfolgsaussicht macht er sich keine Illusionen:
"Mir ist klar, wie weit wir davon noch entfernt sind." Trotzdem scheint
laut Umfragen eine Mehrheit der Menschen in Katalonien hinter seiner
Strategie zu stehen. Würde Aragonès nun wegen der Spionagefälle den
Dialog mit Sánchez komplett aufkündigen, würde dies auch seine eigene
Position schwächen.
Seine Forderungen in Richtung Madrid sind
eindeutig: "Mit einem Treffen und einem gemeinsamen Foto ist es diesmal
nicht getan." Aragonès verlangt Erklärungen, vor allem aber
Verantwortliche, "Köpfe" müssten rollen. Er selbst habe schon
Konsequenzen gezogen, als er im Sommer 2020 die ersten, damals noch
unbestätigten Hinweise auf einen möglichen Lauschangriff erhielt:
Seitdem seien die Mobiltelefone hochrangiger katalanischer Politiker mit
einer Krypto-Software verschlüsselt. Eine weitere Sicherheitsvorkehrung
habe er bereits vor seiner Amtszeit immer eingehalten: "Bei wichtigen
Besprechungen gibt es vor der Tür einen Tisch - auf dem bleiben
sämtliche Handys."
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/pegasus-spionage-kataloniens-pr%C3%A4sident-will-in-madrid-k%C3%B6pfe-rollen-sehen/ar-AAWuYXO?ocid=winp1taskbar&cvid=6259f635640d42dfc09e8abf0350ba98